STATT MESSER
Zwei kleine Pikse statt zweier schmerz-hafter
Schnitte – eine tierfreundliche
Alternative zur chirurgischen Ferkel-kastration
ohne Betäubung gibt es längst.
Bei der Immunokastration impfen Landwirte
männliche Ferkel in zwei Schritten, so dass
diese zum Schlachtzeitpunkt mit Tieren
vor der Pubertät vergleichbar sind. Obwohl
dies zugelassen ist und die Tiere schont, tut
sich der Markt mit dem Verfahren noch
schwer. Wissenschaftler der Universität
Hohenheim in Stuttgart koordinieren seit
1. September 2017 ein europaweites For-schungsprojekt
(SuSI), das diese Methode
vorantreiben soll – damit sie wettbewerbs-fähiger,
umweltfreundlicher und noch
mehr auf das Tierwohl ausgerichtet wird.
Das Bundesministerium für Ernährung
und Landwirtschaft (BMEL) fördert das Projekt über
die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernäh-rung
(BLE) mit fast 1,3 Mio. Euro. An der Universität
Hohenheim sind es gut 283.000 Euro Fördergelder,
die das Projekt zu einem Schwergewicht der For-schung
machen.
Es ist derzeit eine der größten Herausforderungen
für die Schweineproduktion in Europa: Die bishe-rige
Praxis, Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren,
ist mit heutigen Tierschutz-Standards unverein-bar.
Das Problem: Die Beteiligten sind sich nicht
darüber einig, welche alternative Methode die
beste ist. „Tatsache ist, dass das Problembewusst-sein
allgemein in Europa gestiegen ist“, erklärt
Prof. Dr. Volker Stefanski, Experte an der Univer-sität
Hohenheim. „Aus Sicht des Tierwohls gibt es
eine Methode, die den Ansprüchen am besten
gerecht wird: die Immunokastration, bei der die
Tiere gegen den Ebergeruch geimpft werden.“
Sie stünde sofort zur Verfügung, sei seit 15 Jahren
zugelassen und etwa in Belgien weit verbreitet.“
Dennoch wird sie in Deutschland noch kaum prak-tiziert.
Um das zu ändern, untersucht der Profes-sor
gemeinsam mit seinen Hohenheimer Kollegen
apl. Prof. Dr. Ulrike Weiler, Prof. Dr. Korinna Huber,
Prof. Dr. Ludwig Hölzle, den Doktoranden Linda
Wiesner und Kevin Kress sowie sieben Partner-
Institutionen aus Europa, wie sich die Methode
optimieren lässt. Der Titel des Forschungsprojektes:
SuSI – ein Kürzel für „Sustainability in Pork Produc-tion
with Immunocastration“.
NICHT TIERSCHUTZGERECHT
Ebermast, Kastration unter Vollnarkose und unter
lokaler Betäubung – alle anderen Alternativen stel-len
aus Tierschutz-Sicht keinen wirklichen Gewinn
dar, bestätigt Prof. Dr. Weiler. „Bei der Mast unkas-trierter
Eber stellt der unangenehme Ebergeruch,
den das Fleisch mancher Eber aufweist, nur ein Pro-blem
dar“, so die Expertin. „Ohne Kastration zeigen
die Tiere ein wesentlich aggressiveres Verhalten. Vor
allem Penisbeißen ist weit verbreitet: Etwa jedes
zehnte Tier trägt hochgradige Verletzungen davon,
oft schmerzhafter als eine chirurgische Kastration.“
Bei einer Kastration unter Vollnarkose sind nicht
hohe Kosten das Problem: „Bei einer Gasnarkose hat
rund ein Fünftel der Tiere keine ordentliche Betäu-bung“,
erläutert Prof. Dr. Weiler. „Außerdem haben
die Ferkel nur wenig Energiereserven und müssen
halbstündlich trinken. Sie verpassen also Mahlzei-ten
und werden dadurch geschwächt. Darüber
hinaus steigt die Gefahr, dass sie von der Mutter er-drückt
werden.“ Auch die oft propagierte lokale Be-täubung
durch Landwirte sieht sie kritisch: „Die An-
IMPFEN
Stichwort Ferkelkastration. Die Universität Hohenheim untersucht
Alternativen zur bisher üblichen, schmerzhaften Ferkelkastration ohne
Betäubung: ein Plädoyer für die Immunokastration.
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