Fotos: Naturdarmverband, Theimer, © lenakorzh stock-adobe.com
cken. Natürlich ist die Zubereitung nach alter
Art oft mit mehr Aufwand verbunden, doch
eine Wertschätzung seitens des Handwerks
führt hier auch schnell zur Wertschöpfung.
Welche Rolle spielen die Wursthüllen bei die-sen
traditionellen Rezepturen?
Eine sehr große. Im traditionellen Handwerk
gibt es kaum eine andere Hülle außer dem
Naturdarm – der ältesten „Le-bensmittelverpackung“
der
Welt. Viele unserer bes-ten
Wurstsorten gehen
auf das Mittelalter
zurück, als Mönche
und Nonnen in ihren
Klöstern das Wurstbrät
in Naturdärme füllten,
um so Belagerungen zu
überstehen oder um hohe
Gäste zu bewirten. Heute ist
diese Edelhülle als nachhaltige Ressource ak-tueller
denn je. Sie wird bei der Schlachtung
gewonnen, veredelt – und kann direkt als
hochwertiger Rohstoff in der Wurstproduktion
zum Einsatz kommen.
„Nose to tail“ ist in aller Munde – aber doch
keineswegs eine neue Erfindung?
Ganz im Gegenteil: „Nose to tail“ war in der
traditionellen Wurstherstellung stets gang
und gäbe, geriet aber in den vergangenen
30 Jahren in Vergessenheit. In einer Tradi-tionsmetzgerei
gab es kaum Schlachtabfälle.
Ob Blut, Pfote, Schnauze, Schwarte oder Darm,
alles fand Verwendung. Erst die Entfremdung
der Bevölkerung mit der Herstellung von tie-rischen
Lebensmitteln sorgte für einen „Igitt-
Effekt“. Denken wir an den Pfälzer Saumagen,
die Leibspeise von Ex-Bundeskanzler Helmut
Kohl. Eine hochwertige, feine Spezialität, für
die er damals Hohn und Spott erntete.
Die heutige Diskussion um Lebensmittelver-schwendung
und Nachhaltigkeit rückt das
Thema „Nose to tail“ wieder ins Bewusstsein
der Verbraucherinnen und Verbraucher. Es
steht zudem für eine hohe Wertschätzung
gegenüber dem Schlachttier – eine Haltung,
für die sich gerade die junge Generation des
Metzgerhandwerks besonders stark macht.
Gibt es Beispiele für Naturdärme, die heute
selten geworden sind?
Vorweg: Alle Teile des Verdauungstraktes ei-nes
Schlachttieres, die sich füllen lassen, be-zeichnet
man als Naturdarm. Den Pfälzer Sau-magen
habe ich erwähnt. Ich denke auch an
die berühmte Frankfurter Kartoffelwurst, die
ebenfalls in einen Schweinemagen gehört.
Oder an die „Göttinger“, eine Spezialität in der
Rinderblase. Last but not least der Pferdedarm
– obligatorisch für eine Tiroler Jagdwurst oder
die legendäre Schwarzgeräucherte.
Was ist bei der Verarbeitung der Wurst und
ihrer Edelhülle zu beachten?
Es braucht nur drei Dinge: Liebe zum Produkt,
Zeit und Geduld. Eine außergewöhnlich gute
Wurst in feiner Hülle erfordert natürlich mehr
Aufwand als die Massenware nach Schema
F. Einfach ausprobieren – und im Zweifelsfall
beim Naturdarmverband nachfragen. Wir ste-hen
dem Handwerk sehr gerne mit Insider-tipps
und Ratschlägen zur Verfügung.
Wie lassen sich die Spezialitäten erfolgreich
vermarkten?
Ein individuelles Wurstsortiment ist die Visi-tenkarte
jeder Metzgerei. Wer sich auf die re-gionalen
und althergebrachten Rezepturen
besinnt, differenziert sich vom Wettbewerb
– auch im Hinblick auf die Preisgestaltung. Das
Bekenntnis zur Region und das Bewahren ihrer
kulinarischen Traditionen zahlt auf das Konto
der Kundenbindung ein. Spezialitäten jenseits
des Mainstreams wecken die Neugier und
verbreiten sich via Mundpropaganda schnell
weiter. Kurzum: Der Einsatz für das Wurst-
Kulturerbe zahlt sich aus, in jeder Hinsicht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Im Profil: Naturdarmverband
Im Zentralverband Naturdarm sind die Be-triebe
zusammengeschlossen, die sich in
Deutschland mit der Gewinnung, Veredelung
und Vermarktung von Naturdärmen be-schäftigen.
Die Branche ist mittelständisch
strukturiert, viele Betriebe sind seit mehreren
Generationen in Familienbesitz.
Mit der Kampagne „Rettet das Wurst-Kultur-erbe“,
die von den Mitgliedern finanziert
wird, macht sich der Verband seit vielen
Jahren für das Image der Wurst stark.
Mehr Informationen und Kontaktadressen
gibt es unter www.naturdarm.de.
„Um wieder mehr Charakteristik in die
Wurstlandschaft zu zaubern, sollten
wir die regionalen Rezepturen
wiederentdecken. Eine Wertschät-zung
des Handwerks führt hier
auch schnell zur Wertschöpfung.
Saumagen und Frankfurter Kartof-felwurst
sind nur zwei Beispiele.“
Hilmar Reiß,
Zentralverband Naturdarm e.V.
INTERVIEW
18 5/2022
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/www.naturdarm.de