EDITORIAL Fleisch-Marketing
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Kollektives Kopfschütteln
Es ist ein politisches Ritual, einer neuformierten Regierung und ihren Mitgliedern nach
einhundert Tagen im Amt ein erstes Zwischenzeugnis auszustellen. Es wurde zwar – wie
immer – viel kritisiert, aber angesichts der Tatsache, dass eine neue Regierung noch nie
mit so vielen existenziellen Problemen gleichzeitig jonglieren musste, fiel das Urteil relativ
wohlwollend aus. Das kann allerdings nicht für alle Minister gelten. Als Cem Özdemir im
vergangenen Herbst zum Bundeslandwirtschaftsminister in der Ampel-Regierung ernannt
wurde, gab es schon viele skeptische Einwände. Bei den Bürgern kommt der Bundesernährungsminister
FLEISCH-MARKETINGIhr direkter
Amtes gewachsen ist, konnte der Diplom-Sozialpädagoge bisher nicht zerstreuen.
Mit konkreten Ideen fiel der von der Opposition bereits als „Ankündigungsminister“
verspottete Grünen-Politiker nicht auf – eher durch lebensferne Wortmeldungen. Sein
Meisterstück lieferte er in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ab.
Mit der äußerst steilen These „Weniger Fleisch zu essen wäre ein Beitrag gegen Herrn
Putin“ sorgte der bekennende Vegetarier für kollektives Kopfschütteln. Die Ernährungsbranche
nach dem äußerst blassen Christian Schmidt (CSU) und der mit viel Vorschusslorbeeren
gestarteten, aber letztlich gescheiterten Julia Klöckner (CDU) etwas Anderes an der
Spitze des zuständigen Ministeriums verdient.
Bedauerlicherweise fiel die Replik des Verbandes der Fleischwirtschaft auf das abstruse
Interview wenig souverän aus. Statt die wirre, für sich selbst sprechende These, die die
Spiegel-Redakteure natürlich zur Überschrift machten, unkommentiert zu lassen, glaubte
der Verband eine Pressemitteilung herausgeben zu müssen. Und dabei begab man sich
auf das Niveau des Ministers. Denn der Verband argumentierte: Eine Einschränkung der
Tierhaltung in Deutschland hätte eine Reduktion des natürlichen Wirtschaftsdüngers und
einen noch höheren Einsatz von Mineraldünger zur Folge. Dessen Produktion basiere auf
großen Mengen von Öl und Gas, das aus Russland importiert werde und somit den Krieg
in der Ukraine finanziere.
Über Qualität und Quantität von Fleisch und dessen Konsum in Deutschland lässt sich
trefflich streiten, aber dieses Thema in Beziehung zu Putins Krieg zu setzen, entbehrt nicht
nur jeder Grundlage, sondern ist angesichts des unsäglichen Leids der ukrainischen
Bevölkerung auch unanständig.
Norbert Gefäller
4/2022
Fleisch-Marketing
zwar noch überwiegend gut an, aber die Zweifel, ob er den Aufgaben des
mit ihrer elementaren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung hätte
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