Trends & Märkte
„Die Erwartungshaltung
ist nicht kleiner geworden“
In der Studie „Stresstest
Fleischwirtschaft“ hat die internationale
Managementberatung
Munich Strategy 25 Wettbewerber
aus der Fleischbranche ana-
lysiert und ihre Krisenfestigkeit in
Zeiten von Covid-19 geprüft. Im
Gespräch mit Fleisch-Marketing
erläutert Matthias Riemann,
Partner bei Munich Strategy,
die Ergebnisse und geht auf
neue Entwicklungen ein.
FLEISCH-MARKETING: Sie haben im Mai
einen Stresstest Fleischwirtschaft veröffentlicht.
Welche zentralen Aussagen würden Sie
jetzt im November noch genauso formulieren.
Und was hat sich durch die Entwicklung in
den letzten Monaten verändert?
RIEMANN: Die bereits zu Beginn der Krise
angesprochene schwache Widerstandskraft
vieler Unternehmen hat sich tatsächlich als
kritischer Faktor herausgestellt. Eine zu
hohe Abhängigkeit von wenigen Absatzkanälen
oder Lieferanten, eine schwache
Eigenkapitaldecke oder aufgestauter Investitionsbedarf
schränken in ihrer Summe die
unternehmerische Handlungsfreiheit stark
ein. Allerdings gibt es auch in der Gruppe der
kriselnden Unternehmen Gewinner und
Verlierer: Ein hoher Fokus auf Foodservice
und Out-of-home-Kanäle wurde in den letzten
Monaten eher zum Verhängnis, während
eine starke, regionale Retail-Position eher
stabilisierend wirkte.
Zur Covid-19-Krise hinzu kamen in dieser
Zeit noch zwei Brandbeschleuniger: die Afrikanische
Schweinepest und die Brexit-Verhandlungen,
Die seit Jahren anhaltenden Preiskämpfe im Lebensmittelhandel haben die Widerstandskräfte vieler
Unternehmen bereits vor der Coronakrise geschwächt – insbesondere die der „Low-Performer“, die
mehr als die Hälfte der Fleischwirtschaft ausmachen.
deren Ausgang so unsicher ist
wie nie. Je nach Exportanteil und Länderfokus
sind viele Unternehmen von beiden Entwicklungen
gleichermaßen betroffen. Auch
wenn beides nicht in Zusammenhang mit der
Pandemie steht – die Parallelität der Krisen
verkraften nicht alle fleischverarbeitenden
Betriebe gleichermaßen.
Durch die Überlagerung der genannten Entwicklungen
konnte die negative Auswirkung
auf die Wertschöpfungsstufe der Aufzucht so
nicht vorhergesehen werden. Hier muss
sicherlich auch der Fokus für staatliche
Unterstützungsmaßnahmen liegen.
FLEISCH-MARKETING: Tierwohl, Nachhaltigkeit
und pflanzliche Alternativen
haben vor dem Pandemieausbruch in der
Gesellschaft an Aufmerksamkeit gewonnen.
Wie haben sich diese Aspekte in den vorangegangenen
Monaten entwickelt und was
ist in der Zukunft zu erwarten?
RIEMANN: Alle drei Megatrends bleiben
auch in und nach der Coronakrise wichtig,
eine Abkehr ist nicht zu erwarten. Die Investitionen
in diese Themen sind grundsätzlich
langfristig ausgelegt und verändern
die strategische Positionierung der Unternehmen,
die diese konsequent umsetzen. Die
Pandemie verändert vieles im kurzfristigen,
taktischen und operativen Bereich. Die langfristige
Unternehmensstrategie ist hiervon
meist nicht betroffen. Lediglich beim Thema
Neuinvestitionen und Übernahmen sehen
wir hier und da leichte Verschiebungen, eine
echte Abkehr vom Kurs ist aber nicht festzustellen.
Auch wenn man mit dem Handel
oder Endkonsumenten spricht, wird deutlich:
Die Erwartungshaltung an die Fleischindustrie
ist nicht kleiner geworden.
FLEISCH-MARKETING: Die Ernährungsbranche
ist relativ unbeschadet durch die
Finanzkrise gekommen. Glauben Sie, dass
ihr das nun wieder gelingt?
RIEMANN: Grundsätzlich ja. Allerdings
haben sich die strukturellen Probleme des
Marktes aus Sicht der Fleischverarbeitung
10 12/2020 Fleisch-Marketing