KOMPAKT•VEGGIE
Fotos: Colourbox.de
Burger aus
der Petrischale
In einigen Youtube-Videos behaupten enthusiastische Forscher, in einigen Jahren könnte
In-Vitro-Fleisch die Massentierhaltung ersetzen. Ob die technischen und gesellschaftlichen Hürden
– beispielsweise die Frage der Akzeptanz – trotz großer wissenschaftlicher Fortschritte in
absehbarer Zeit überwunden werden können, ist allerdings offen.
Viele Menschen, denen Tier- und Klimaschutz wichtig sind,
erhoffen sich, dass kultiviertes Fleisch einen Ausweg aus
der industrialisierten Tierhaltung bietet. Ziel des In-Vitro-
Produktes ist es, ein Stück Fleisch vollkommen ohne Tierleid zu
produzieren, die Umwelt zu schonen und die Klimabelastung zu
reduzieren.
Nachdem der Öffentlichkeit 2013 ein Machbarkeitsnachweis
für kultiviertes Fleisch vorgestellt wurde, präsentierte Mark Post
von der Universität Maastricht im August diesen Jahres bei einer
per Livestream übertragenen Pressekonferenz einen Burger aus
der Petrischale. Für dieses Erzeugnis waren Stammzellen von einem
Rind entnommen und zu Muskelfasern herangezüchtet worden.
Das Startup-Unternehmen Mosa Meat, das mit Post kooperiert,
taxierte den Preis zunächst auf zirka 70 Euro pro Burger.
Mittlerweile liegt er bei nur noch rund 10 Euro.
Gemeinsam mit seinem Team arbeitet Post derzeit an der Verfeinerung
des Produktionsprozesses und an der Qualität des Erzeugnisses.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kosteneffizienz,
denn das Produkt ist nur dann eine Alternative zu konventionell
hergestelltem Fleisch, wenn es vergleichsweise günstig angeboten
werden kann.
Wie die Zukunft aussehen könnte, zeigt ein Werbespot des
amerikanischen Unternehmens Memphis Meats, in dem ein sehr
ursprünglich aussehendes Fleischbällchen zu sehen ist. Die dafür
vermehrten Muskelzellen stammen vor allem von Schweinen
und Rindern und versprechen ein Produkt, dass in Geschmack,
Struktur und Eigenschaften nicht von konventionellem Fleisch zu
unterscheiden ist. 2017 stellte Memphis Meats auch Hähnchen-
und Entenfleisch aus Zellkulturen vor. Das israelische Startup Supermeat
arbeitet ebenfalls an der Entwicklung von „künstlichem“
Geflügelfleisch. Das Unternehmen hat sogar die Vision, dass Verbraucher
das Fleisch für den eigenen Bedarf irgendwann zuhause
selbst herstellen können.
Die Firmen sehen in dem kultivierten Fleisch nicht nur eine
Chance für Milliarden von Tieren, die dann nicht mehr für den
menschlichen Fleisch- und Milchverzehr sorgen müssen. Es ist
auch eine Chance für das Klima, denn nach Berechnungen von
Experten verbraucht die Produktion von kultiviertem Fleisch nur
einen Bruchteil des Landes und des Wassers. Sie hat damit eine
deutlich bessere Klimabilanz als jede Form der Tierhaltung.
Ob das erste Fleisch aus „zellularer Landwirtschaft“, wie von
In-Vitro-Fleisch-Pionieren prognostiziert wird, Anfang des kommenden
Jahrzehnts erhältlich sein wird, ist fraglich. Unumstritten
sind allerdings die Chancen, die dieser Ansatz bietet. So investieren
nicht nur Visionäre wie Google-Entwickler Sergey Brin,
der das Team von Mark Post unterstützt, und Microsoft-Gründer
Bill Gates Geld in entsprechende Startups, sondern auch Tyson
Foods, eines der größten Schlachtunternehmen der Vereinigten
Staaten, zeigt Interesse an Alternativen zu konventionellem
Fleisch.
8 KOMPAKT VEGGIE 2017