Die vegane Weißwurst von Greenforce im knallharten fleischnet-Pro & Contra
Das Lebensmittel-Start-up Greenforce hat sich an den Heiligen Gral bayerischer Fleischkultur gewagt: Mit seiner veganen Weißwurst knüpft das Unternehmen an die Landestradition an – und bricht dennoch ein Tabu. Angeboten wird das neue Produkt im ausgewählten Einzelhandel sowie in urbayerischen Wirtshäusern – darunter auch das Paulaner „Herr’schafts’zeiten“ in der Münchner Innenstadt. Auch auf der Wiesn wird die vegane Weißwurst zur Maß gereicht: Das Käfer-Zelt und das Hofbräuzelt bieten das bayerische Frühstück auf Basis von Erbsenprotein an. Portioniert sind die Würste auf je drei Stück à 50 g.
Aber eine Weißwurst ohne Kalbfleisch und/oder Schweinerückenspeck – kann es, ja darf es denn sowas geben? Wir von der fleischnet-Redaktion haben das gute Stück gekostet und sind zu komplett konträren Meinungen gekommen.
Pro
Denise Kelm, 28, Volontärin B&L Medien und Veganerin
• Die bayerische Kultur habe ich als Veganerin als etwas erlebt, das mich ausschließt. Ich kann mich entweder ins Bierzelt setzen und nur Beilagen wie einen Kartoffelsalat essen – und muss noch hoffen, dass keine Butter drin ist. Dank innovativen Produkten wie der veganen Weißwurst kann ich wieder dabei sein. Sie gibt mir das Gefühl, an der bayerischen Kultur teilhaben zu dürfen, ohne dafür meine ethischen Grundsätze zu verletzen.
• Kälber sind Kinder, die mit ihrer Mutter über eine grüne Wiese springen sollen. Wenn ich Weißwurst aus Kinderfleisch essen müsste, wäre es für mich ein schuldiges Vergnügen.
„Wir Bürohocker werden nur fett“
• Die klassische Weißwurst wird „gezuzelt“ – einige Menschen mögen das, aber feine Tischmanieren zeigt man damit kaum. Es ist für mich deswegen ein Gewinn, dass ich die vegane Weißwurst mit Messer und Gabel essen kann, ohne schlabbern, tropfen und klecksen – und ohne Stunden später noch vom Pulen Essensreste unter meinen Fingernägeln zu finden.
• Weißwurst aus Fleisch beinhaltet vorrangig eins: schlechte Nährwerte. Gesättigte Fettsäuren halfen einst den Bauern, einen langen Tag der Feldarbeit durchzustehen. Auf uns Bürohocker hat es nur einen Effekt: Wir werden fett, bekommen Diabetes und die Arterien verstopfen. Nicht so gut. Da nehme ich doch lieber die vegane Weißwurst aus Erbsenprotein mit kaum Fett, die besser zu meinem sitzend verrichteten Tageswerk passt.
Contra
Christian Blümel, 55, Redakteur B&L Medien, weder vegan noch un-vegan
• „Nicht schlecht.” „Schmeckt fast wie eine richtige Weißwurst.“ Das war der überwiegende Tenor an den Tischen beim veganen Weißwurstfrühstück im „Herr’schafts’zeiten“, dem neuen Paulaner-Traditionslokal im Herzen von München. Aber schmeckt sie wirklich, die vegane Weißwurst des Münchner Foodtech-Startups Greenforce? Ist sie wirklich gut? Eine etwas verklausulierte Antwort liefert Nick Helleberg, Chief Commercial Officer von Greenforce. Die vegane Weißwurst-Rezeptur sei „jetzt gerade Golf 1“.
• Kurzer Ausflug in die Auto-Welt: Der VW Golf 1 kam 1974 auf den Markt und entwickelte sich über bislang acht Generationen hinweg zu einem der erfolgreichsten Automobile der Geschichte. Mit dem Vergleich spielt Helleberg auf den Status quo der veganen Weißwurst an: Entwicklungstechnisch befindet sie sich gerade erst am Anfang. „Wir haben lange daran geschraubt, weil die Konsistenz der Weißwurst so schwierig darzustellen ist. Petersilie rauf? Petersilie runter? Das sind in unserem Forschungslabor in Traunstein die Fragen“ ergänzt er und beklagt: „Leider ist es bis jetzt noch nicht möglich, die Rezeptur der Weißwurst perfekt vegan abzubilden.“ Und da liegt auch das Kernproblem für die vegane Alternative: Sie versucht etwas zu sein, was sie noch nicht sein kann.
„Schmeckt-fast-so-gut-wie ist für mich nicht akzeptabel“
• Deshalb gibt es von mir ein klares Contra für das neue Produkt. Ein „Schmeckt-fast-so-gut-wie” ist für mich einfach nicht akzeptabel. Das Brät ist eindimensional, kann nicht im Ansatz mithalten mit der vielfarbigen Konsistenz eines guten Originals, was Biss und Aromenvielfalt angeht.
• Ebenfalls schwierig: Greenforce verzichtet für die vegane Alternative auf einen Darm und führt dafür zwei Argumente ins Feld: Ein veganer Darm könne nicht mitgegessen werden. Und von der Tradition des Weißwurst-Zuzelns halten die Damen und Herren Entwickler auch eher wenig. Nein, mit der Zuzlerei kann ich auch nichts anfangen, finde sie sogar ziemlich unappetitlich. Aber eine Weißwurst ist nun einmal keine darmlose Wollwurst.
• Mein Fazit: Die vegane Weißwurst von Greenforce kommt zu früh, ist einfach noch nicht ausgereift und damit auch nicht konkurrenzfähig im Vergleich mit dem Original.
Worauf es bei der Entwicklung von Fleischalternativen ankommt, hat übrigens vor etwa einem Jahr Friedrich Büse im B&L-Sonderheft „Future Foods” auf den Punkt gebracht. „In den nächsten Jahren wird sich eine Entwicklung einstellen, die sich nicht mehr am Kopieren von Fleisch und Wurst ausrichtet, sondern eine neue Kategorie schafft”, sagt der Gründer von endori, einem Unternehmen, das sich ähnlich wie Greenforce der Entwicklung von pflanzlichen Fleischalternativen auf Erbsenbasis verschrieben hat. Er fordert „Fleischalternativen in immer besserer Qualität zu günstigeren Preisen“. Könnte ich unterschreiben.