Die deutsche Naturdarm-Branche bilanziert ein herausforderndes, aber zufriedenstellendes Jahr 2022. Fazit: Entspannung bei den Lieferketten, doch Rohware beim Naturdarm bleibt knapp und teuer. Trotz erheblich gestiegener Rohwarenpreise und anhaltend hoher Kosten für den Transport im Inland bzw. der EU, lieferten die im deutschen Naturdarmverband organisierten Unternehmen robuste Zahlen.
Deutschland ist das Zentrum des globalen Naturdarmhandels. Der Wert der hier gehandelten Ware beläuft sich im Berichtsjahr auf 1,044 Mrd. Euro und liegt so um fast 20 % über dem Vorjahr. Bei der Menge hingen verzeichnet die Branche einen Rückgang um knapp 7 % auf 194.588 t. Daran hat die Ausfuhr einen Anteil von rund 56 %. In dieser Bilanz spiegelt sich eine globale Entwicklung wider, die sich in den Vorjahren abzeichnete: Rohware ist knapp und teuer. Gesunkene Schlachtraten, hohe Preise für Energie sowie gestiegene Lohnkosten in Asien und der EU haben erhebliche Auswirkungen. Nur in China ist der Preis für Salz – das natürliche Konservierungsmittel für Naturdärme – um rund 40 % gestiegen. Ein positives Zeichen für die Branche ist die Stabilisierung der Lieferketten. Nach erheblichen Störungen in den vorangegangenen Jahren infolge der Pandemie gibt es hier im 2. Halbjahr 2022 eine deutliche Entspannung. Auch Seefrachtraten haben sich annähernd normalisiert. Weiterhin hoch bleiben die Ausgaben für den Transport innerhalb der EU.
Großes Handelsvolumen im EU-Binnenmarkt
Bezogen auf den Wert der gehandelten Ware liegen die EU-Staaten mit 526.097 Mio. Euro und die Märkte außerhalb des EU-Binnenmarktes mit 518.698 Mio. EUR fast auf gleichem Niveau. Ein deutlicher Unterschied zeigt sich beim Volumen – hier entfallen mit 142.591 t fast zwei Drittel der Menge auf die EU, die damit der wichtigste Handelspartner für die deutsche Naturdarm-Branche bleibt. Gerade in den südeuropäischen Ländern ist Wurst traditionell ein fester Bestandteil der kulinarischen Landkarte. Die italienische Salsiccia ist dafür ebenso ein gutes Beispiel wie Chorizo aus Spanien oder Portugal oder die Andouillette aus Frankreich.
Deutsche Wurst in Asien begehrt
Während auf dem hiesigen Markt auch vegetarische Wurst-Imitationen um die Gunst der Verbraucher buhlen, stehen traditionelle handwerkliche Rezepturen aus Deutschland und Europa besonders in Asien hoch im Kurs. „Unsere Mitglieder berichten, dass beispielsweise in Indien ein großes Interesse an Wurstspezialitäten nach deutschem oder europäischem Vorbild besteht“, sagt Heike Molkenthin, Vorsitzende des Zentralverbandes Naturdarm.
Von zentraler Bedeutung für den deutschen Naturdarmhandel bleibt China. Nicht nur als Exporteur von Naturdärmen, sondern auch in Hinblick auf die Veredelung der Ware, die in enger Kooperation zwischen Mitgliedsunternehmen des Naturdarmverbandes und Partnern vor Ort stattfindet. Entsprechend hat die Pandemie das Marktgeschehen auch im Berichtsjahr noch stark beeinflusst – Shanghai befand sich 2022 für 72 Tage im Lockdown. Zum anderen entwickelt sich in China eine starke Nachfrage nach Wurst. Hier gibt es zahlreiche kleine Produzenten, die Wiener, Weißwurst und Bratwurst nach traditionellen deutschen Rezepturen herstellen und damit einem starken Trend folgen. „Wir freuen uns natürlich über diese Wertschätzung, auch wenn sie für unsere Mitglieder auch Schattenseiten hat“, sagt Heike Molkenthin. Die Schlachtraten für Schweine haben 2022 in China einen neuen Höchststand erreicht und ein großer Anteil der so gewonnenen Naturdärme verbleibt im Land, um die heimische Nachfrage zu bedienen. „Das betrifft sowohl Schweinedärme als auch Saitlinge, die edelsten Naturdärme vom Schaf“, so Heike Molkenthin. Das führe zu Verknappung auf dem Weltmarkt und treibe die Preise.
Weitere wichtige Handelspartner
Eine stabile Nachfrage nach Wurstprodukten gibt es in Japan – angepasst an die eigene Esskultur. „Würstchen in engen Kalibern, wie Wiener Würstchen, lassen sich in kleinen Stücken wunderbar mit Chop-Sticks essen“, heißt es beim Naturdarmverband. Neben der EU und Asien sind auch Brasilien und Australien/Neuseeland wichtige Handelspartner für die deutsche Naturdarmbranche. Brasilien liefert vor allem Rinderdärme. Indes steigt auch in diesem Markt der Eigenbedarf kontinuierlich, die Ware bleibt im Land. Rohware ist teuer, nicht zuletzt bedingt durch gestiegene Lohnkosten. Zudem wächst in Brasilien der Bedarf an Schweinedärmen – das Land wandelt sich vom klassischen Exporteur zum Importeur. Australien und Neuseeland sind bedeutende Lieferländer für Saitlinge. Schafsdärme sind der „Star“ unter den Naturdärmen und sorgen bei Wienern, Frankfurtern und Bockwürstchen für den „Knack-Effekt“. Bei stabiler Verfügbarkeit liegen auch hier die Preise für Rohware im Berichtsjahr auf einem hohen Niveau.
Deutscher Markt eine Herausforderung
Was den heimischen Markt betrifft, spricht die Naturdarm-Branche von einem Paradoxon: Überall in der Welt ist Wurst begehrt, und Deutschland gilt mit seinen über 1.500 Sorten als Wurstparadies. Da sei es wenig nachvollziehbar, dass gerade hier dieses kulinarische Erbe von politischer Seite immer weniger Wertschätzung erfährt und die Fleischwirtschaft zunehmend unter Druck gerät. „Unsere Mitgliedsbetriebe sind erfahrene Player im globalen Markt und erwarten keine Begünstigungen. Aber sie erwarten für sich und ihre Abnehmer, ob Wurstwarenindustrie oder Handwerk, faire und verlässliche Rahmenbedingungen”, betont Heike Molkenthin.