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Ivo Rzegotta Good Food Institute Europe

Kraftzentrum für kultiviertes Fleisch

Datum: 11.07.2023Quelle: Messe Frankfurt Exhibition GmbH, gfi | Ort: Frankfurt am Main |

Interview mit Ivo Rzegotta vom Good Food Institute Europe

Der Markt für kultiviertes Fleisch in Deutschland und Europa gilt als vielversprechend. Die IFFA, Welt-Leitmesse für Innovationen in der Prozesstechnik für Fleisch und alternative Proteine, nimmt dieses Zukunftsthema schon jetzt, knapp zwei Jahre vor ihrer nächsten Ausgabe, in den Fokus. Die Organisatoren der Messe sprachen aus diesem Grund mit Ivo Rzegotta, Senior Policy Manager für Deutschland beim Good Food Institute Europe (Bild o.).

Herr Rzegotta, das Spektrum der alternativen Proteinprodukte reicht von komplett pflanzenbasiertem Fleischersatz über hybride Produkte bis hin zu kultiviertem Fleisch. Können Sie uns einen Überblick geben, wie sich diese einzelnen Segmente momentan in Deutschland entwickeln?

Weltweit stellen mindestens 1.150 Unternehmen pflanzliche Alternativen zu tierischen Produkten her, darunter sowohl innovative Startups als auch etablierte Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft. Mindestens 70 davon haben ihren Sitz in Deutschland. Hinzu kommen zahlreiche B2B-Unternehmen, die die Entwicklung in dem Bereich voranbringen.

Wir rechnen weiter mit dynamischem Wachstum“

Innerhalb Europas ist Deutschland der mit Abstand größte Markt für pflanzliche Alternativprodukte. Gemessen am Umsatz ist der deutsche Gesamtmarkt für pflanzenbasierte Lebensmittel 2022 um 11 Prozent auf 1,9 Milliarden Euro gewachsen, seit 2020 sogar um insgesamt 42 Prozent. Wir rechnen weiter mit dynamischem Wachstum, denn die Qualität der Produkte steigt, und wir sehen viel Innovation in Kategorien, die bislang Aufholbedarf hatten – etwa bei pflanzlichen Fischprodukten oder strukturierten Produkten wie pflanzlichem Steak.

Gegenwärtig besteht der Markt für alternative Proteine fast ausschließlich aus pflanzenbasierten Produkten. Die Markteinführung von kultiviertem Fleisch und fermentationsbasierten Produkten wird in Deutschland noch etwas Zeit brauchen und hybride Produkte aus tierischem und pflanzlichem Protein sind bislang nur ein Nischenprodukt.

Kultiviertes Fleisch ist in Europa noch nicht als Lebensmittel zugelassen. Wann wird kultiviertes Fleisch erhältlich sein und welches sind die aktuellen Hindernisse auf dem Weg dahin? Wo steht Deutschland?

Auf dem Weg zur Marktreife von kultiviertem Fleisch haben wir in den vergangenen Monaten große Fortschritte gesehen. In den USA wurden die ersten Produkte zugelassen und auch in anderen Märkten laufen entsprechende Verfahren.

Wann die Produkte in Deutschland und in Europa auf den Markt kommen, hängt im Wesentlichen von zwei Dingen ab. Zum einen müssen die Herstellungskosten weiter gesenkt und die notwendigen Produktionskapazitäten aufgebaut werden, bevor die Produkte auf den Massenmarkt kommen können. Hier braucht es neben privaten Investitionen auch deutlich mehr öffentliche Förderung in den Bereichen Forschung und Infrastruktur.

Gegenwärtig ist der Prozess sehr bürokratisch“

Zum anderen fällt kultiviertes Fleisch in den Geltungsbereich der Novel Food-Verordnung der EU. Daher müssen Produkte aus kultiviertem Fleisch eine gründliche Überprüfung der Lebensmittelsicherheit durchlaufen, bevor sie in der EU verkauft werden dürfen. Gegenwärtig ist der Prozess jedoch sehr bürokratisch und dauert deutlich länger als in anderen Regionen der Welt. Die deutsche Regierung sollte den Unternehmen hier stärker mit maßgeschneiderten Beratungsangeboten unter die Arme greifen.

In Deutschland gibt es eine Reihe von vielversprechenden Startups im Bereich der Zellkultivierung. Vor allem aber ist Deutschland als wichtiger Industriestandort Vorreiter in den vorgelagerten Bereichen. Etwa bei der Entwicklung von nachhaltigen Nährmedien oder bei der Konstruktion von Fermentern für die Kultivierung und die Fermentation. Deutsche Unternehmen wie Merck, The Cultivated B und GEA positionieren sich auch weit über Deutschland hinaus als Rückgrat dieser neuen Branche.

Ein weiteres spannendes Feld ist die Fermentation. Durch sie können mit Hilfe von Mikroorganismen Produkte hergestellt werden, die wie Fleisch aussehen und schmecken und dieselben Kocheigenschaften aufweisen. Wo stehen wir gerade in diesem Prozess und wie könnte das Verfahren vorangebracht werden?

Gegenwärtig arbeiten weltweit mindestens 136 Unternehmen an der Herstellung von nachhaltigen Proteinen auf Basis von modernen Fermentationsverfahren. Deutschland ist in diesem Bereich sehr stark aufgestellt. Denn hierzulande gibt es die drittmeisten Startups nach den USA und Israel, zum Beispiel Formo, Mushlabs und Kynda. Damit ist das deutsche Ökosystem auf dem Weg, in dieser aufstrebenden Kategorie ein globales Kraftzentrum zu werden.

Kraftanstrengung beim Kapazitätsaufbau“

Die Herausforderungen im Bereich Fermentation sind im Grunde dieselben wie bei der Zellkultivierung. Die dahinter liegenden Technologien funktionieren und Unternehmen haben gezeigt, dass sich damit schmackhafte und nachhaltige Produkte herstellen lassen. Doch um den Produktionspreis auf Augenhöhe zu den tierischen Pendants zu bringen und um nennenswerte Mengen davon zu produzieren, braucht es nun eine Kraftanstrengung beim Kapazitätsaufbau. Dabei sind sowohl private Investoren als auch politische Entscheidungsträger gefragt.“

Sie haben davon gesprochen, dass wir in Deutschland alle Voraussetzungen dafür haben, um bei der Ernährungs- und Proteinwende ein weltweiter Vorreiter zu sein. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung? Und glauben Sie nicht, dass andere Staaten, wie Israel, Singapur, die USA und die Niederlande, uns hier bereits voraus sind?

Die Erfahrung zeigt, dass die erfolgreichsten Ökosysteme für alternative Proteinquellen dort entstehen, wo die Politik den Sektor aktiv mitgestaltet, um das wirtschaftliche, ökologische und gesundheitliche Potenzial zu heben. Israel und Singapur sind Vorreiter in diesem Bereich. Große Industriestaaten wie die USA, China und Japan machen sich nun ebenfalls auf den Weg. Sie sehen die Förderung von alternativen Proteinen als einen strategischen Hebel in ihrer Wirtschaftspolitik.

Deutschland kann ins Spitzenfeld aufrücken“

Wenn die deutsche Bundesregierung nun die Zusage aus dem Koalitionsvertrag, alternative Proteinquellen zu fördern, engagiert umsetzt, dann kann Deutschland ins Spitzenfeld aufrücken. Denn grundsätzlich haben wir hier alles, was es dafür braucht: eine innovative Startup-Landschaft, eine starke Lebensmittelwirtschaft und Landwirtschaft, ein exzellentes Forschungssystem sowie aufgeschlossene Verbraucher.

Christian Blümel / Fleischnet

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