Die Reformen der Politik in Sachen Tierschutz in der EU bieten Chancen für die gezielte Förderung von Betrieben. Dafür müssen Tierwohl-Daten mit Landwirtschafts-, Handels- und Ernährungspolitik verknüpft werden. Zu diesem Schluss kommen Forscherinnen der Universität Hohenheim in Stuttgart.
Prof. Dr. Christine Wieck und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sara Dusel sehen zwar Fortschritte beim Tierschutz in der Landwirtschaft seit der Einführung von EU-weiten Vorschriften. Sie bemängeln aber auch erhebliche Wissenslücken. Diese zu schließen sowie finanzielle Anreize für eine Umstellung der Landwirtschaft zu schaffen, ist aus ihrer Sicht notwendig, um in Europa ein höheres Tierwohl-Niveau zu erreichen.
Farm-to-Fork-Strategie
Mit der Farm-to-Fork-Strategie hat die EU Eckpfeiler für eine nachhaltige Umgestaltung des europäischen Agrar- und Ernährungssystems festgelegt. Eines von mehreren erklärten Zielen ist es, die Tiergesundheit und das Tierwohl in der Landwirtschaft zu verbessern – durch Reformen bei der Haltung über den Transport und die Schlachtung bis zur Vermarktung und dem Konsum.
Aktuell überarbeitet die Europäische Kommission die Regelungen für den Tierschutz in der Landwirtschaft. Kürzlich wurde der sogenannte „Fitness-Check“ abgeschlossen. Er dient dazu, die Auswirkungen der vorhandenen Tierschutz-Vorschriften zu überprüfen und diese ggfs. zu verbessern. Am Prozess beteiligt waren Prof. Dr. Wieck vom Fachgebiet Agrar- und Ernährungspolitik an der Universität Hohenheim und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sara Dusel. Ihre Expertise trägt dazu bei, vielversprechende Handlungsmöglichkeiten zu finden und die Auswirkungen von geplanten Maßnahmen abzuschätzen.
Erhebliche Wissenslücken
Zwar hätten nach Ansicht der Forscherinnen die bestehenden Regelungen Fortschritte beim Tierschutz in der Landwirtschaft gebracht. Unterschiede in der Anwendung und in der Durchsetzung beeinträchtigen aber nach wie vor den Binnenmarkt und das Erreichen eines vergleichbaren Tierschutzniveaus in der EU.
Außerdem gebe es erhebliche Wissenslücken: „Es mangelt an Informationen über die Bedingungen, unter denen die Tiere in den einzelnen Mitgliedstaaten gehalten, transportiert und geschlachtet werden“, bedauert Prof. Dr. Wieck. „Zudem legen die bestehenden Vorschriften den Fokus auf Ressourcen, z. B. das Platzangebot und Management-Maßnahmen. Das Wohlbefinden der Tiere wird noch zu wenig an den Tieren selbst erfasst. Selbst wenn die bestehenden EU-Vorschriften vollständig umgesetzt wären, könnten sie wohl nur gewährleisten, dass gewisse Grundvoraussetzungen für Tierwohl erfüllt sind. Das Tierwohl wird nicht ausreichend am Zustand der Tiere ermittelt.“
Um trotzdem Informationen für den „Fitness-Check“ bereitzustellen, wurden Vorteile und Risiken unterschiedlicher Haltungssysteme aus der wissenschaftlichen Literatur abgeleitet sowie Expertenwissen herangezogen. „Dadurch konnten die Auswirkungen der EU-Vorschriften auf Tiere, Betriebe und andere Interessengruppen grob abgeschätzt werden“, erklärt Sara Dusel.
Finanzielle Anreize schaffen, Initiativen stärken
Nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen wird die flächendeckende Umstellung der Landwirtschaft auf substantiell höhere Tierschutzstandards allein über den Markt nicht funktionieren, was den Bedarf an öffentlichen Maßnahmen zur Verbesserung des Tierwohls unterstreicht. „Ein entscheidender Punkt ist der finanzielle Anreiz. Doch derzeit fehlt auf EU-Ebene eine umfassende Finanzierungsstrategie, die Agrar-, Handels- und Ernährungspolitik verknüpft, Zahlungen systematisch an Fortschritte beim Tierwohl koppelt und dadurch gezielt finanzielle Unterstützung für den Übergang zu höheren Tierschutzstandards sicherstellt“, sagt Prof. Dr. Wieck.
Neben der Gemeinsamen Agrarpolitik gibt es aus Sicht der Forschenden bereits vielversprechende Initiativen, die auf EU-Ebene den Tierschutz voranbringen können und deswegen gestärkt werden sollten. Dazu zählen u.a. das geplante EU-Tierwohllabel, ein mögliches EU-Tierwohl-Monitoring und die Aufnahme von gleichwertigen Tierschutzstandards in EU-Handelsabkommen, damit EU-Standards nicht durch billigere Importe untergraben werden.
Weitere Informationen
– Veröffentlichung: Dusel, S., Wieck, C. Evidence gaps hinder animal welfare progress in the European Union. Nat Food (2023). https://doi.org/10.1038/s43016-023-00743-8
– Expertenliste Tierschutz / Tierwohl: https://www.uni-hohenheim.de/expertenliste-tierschutz-tierwohl