Zum Tod von Karl Ludwig Schweisfurth: Die deutsche Fleisch- und Lebensmittelbranche verliert eine ihrer bekanntesten und einflussreichsten Persönlichkeiten.
„Er war ein deutscher Unternehmer und ein Pionier auf dem Gebiet der ökologischen Lebensmittelherstellung.“ So beschreibt die Online-Enzyklopädie Wikipedia Karl Ludwig Schweisfurth. Treffend. Und doch war er soviel mehr. Mit dem 89-Jährigen ist am vergangenen Samstag, 15. Februar 2020, eine der bekanntesten und einflussreichsten Persönlichkeiten der deutschen Fleisch- und Lebensmittelbranche gestorben.
Allein die Eckdaten seiner Vita reichen anderen Menschen für drei bis vier Leben. Nach der Fleischerlehre Lehr- und Wanderjahre in Schlachthöfen in Chicago, danach Auf- und Umbau des väterlichen Betriebs in Herten zum globalen Fleischkonzern, den er 20 Jahre leitet und 1984 überraschend an Nestlé verkauft. Mit der Gründung der Herrmannsdorfer Landwerkstätten im Jahr 1986 beginnt sein zweites Leben als Bio-Pionier und Mentor der ökologischen Landwirtschaft.
„Bis zum Ende ein gesundes und gutes Leben.“
„Er hatte bis zum Ende in Herrmannsdorf mit seinen Freunden und seiner Familie ein gesundes und gutes Leben”, heißt es in einer Mitteilung der Familie zum Tod des Patrons. An dieser Stelle erinnern wir an Karl Ludwig Schweisfurth mit unserer Reportage „Der Geläuterte“, erschienen in unserer Sonderheft „Vernetzte Branchen“ im Sommer 2015, für das uns der damals 85-Jährige tiefe Einblicke in sein Leben und Denken gewährt hat.
Der Geläuterte
Visionär oder Spinner? Karl Ludwig Schweisfurth wurde stets in beide Schubladen gesteckt und polarisiert auch mit 85 Jahren wie ein blutjunger Revoluzzer.
Es war 1984, als Karl Ludwig Schweisfurth einen Prozess des Zweifelns und Grübelns mit einem Paukenschlag beendete. Völlig überraschend für Mitarbeiter und Familie verkaufte er sein Herta-Fleisch- und Wurstimperium an den Nahrungsmittelkonzern Nestlé. Der Mann aus Herten, der mit vakuumverpackter Fleischwurst ein Vermögen gemacht und nebenbei in seinen Betrieben soziale Maßstäbe gesetzt hatte, wollte nicht mehr so weitermachen: „Der Preis hat mich nicht mehr interessiert, sondern Geschmack und Gesundheit.“ Die Konsequenz ließ nicht lange auf sich warten: „Ich steige aus und fange von vorne an.“
Karl Ludwig Schweisfurth gründet mit den Nestlé-Millionen 1985 zunächst die Schweisfurth-Stiftung. Die Agrar- und Ernährungskultur will er neu definieren, Achtsamkeit im Umgang mit Tieren einfordern und den ländlichen Raum nachhaltig entwickeln. Wie er sich das vorstellt, führt Karl Ludwig Schweisfurth 1986 mit der Gründung seiner Herrmannsdorfer Landwerkstätten für Lebensmittel in Glonn bei München vor.
Der Bruch mit der Vergangenheit als Fleischindustrieller könnte kaum radikaler sein: Handarbeit statt Fließband. „Tiere töten, dürfen wir das?“ – diese Frage nagte immer wieder ausgerechnet an dem Mann, der die Fleischindustrie nach US-amerikanischem Vorbild nach Deutschland brachte, bei der die Tiere im Sekundentakt auf die Schlachtbank geführt werden.
„Die Tiere müssen raus auf die Weiden, so oft es geht.“
Der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler beantwortet die alles entscheidende Frage nach dem Töten der Tiere mit einem „Ja, aber“ und präzisiert: „Wenn wir schon Tiere töten, dann artgerecht, und wir müssen dafür sorgen, dass sie ein gutes Leben hatten.“ Was er darunter versteht, zeigt Karl Ludwig Schweisfurth in Herrmannsdorf. „Die Tiere müssen raus auf die Weiden, so oft es geht.“
Längst sind die Landwerkstätten, seit 1996 geführt von seinem Sohn Karl Schweisfurth, eine Pilgerstätte – nicht nur für Ökofreaks. Auf dem Hof mit Landwirtschaft, Metzgerei, Bäckerei, Käserei, Brauerei, Bio-Markt und Wirtshaus tummeln sich glückliche Schweine und Hühner in großen Ausläufen. Handwerkliche Verfahren wie die Warmfleischzerlegung feiern Renaissance.
Die handgemachten Lebensmittel gibt es übrigens nicht nur in Glonn zu kaufen, sondern auch in Filialen im Großraum München. Eine Erfolgsgeschichte für den Mann, der sich vom Saulus zum Paulus gewandelt hat. Ein Wandel, der bei Karl Ludwig Schweisfurth tief in seine Alltagsgewohnheiten vorgedrungen ist. Er isst nur noch Fleisch von Tieren, von denen er weiß, dass sie artgerecht gelebt haben und zu Tode gekommen sind.
„Dieses System ist an seinem Ende.“
Weil er sich da nur auf seinem Landgut auf der sicheren Seite wähnt, rührt der Teilzeit-Vegetarier außerhalb seines Bio-Refugiums kein Fleisch an. Für die moderne Fleischindustrie hat der Metzgermeister und einstige Ober-Hertaner nur noch Verachtung übrig: „Dieses System ist an seinem Ende.“
Wo für ihn die Zukunft liegt, zeigt er mit seinem Dorf für Kinder und Tiere. Seit dem Jahr 2006 bevölkern Schulklassen das Refugium in der Nähe der Landwerkstätten, eine Mischung aus Indianerdorf und Abenteuerspielplatz. Eine Woche lang leben die Kinder zwischen Tieren und Pflanzen und stellen ihre Lebensmittel selbst her. Für den Schöpfer des Dorfes ist es die liebste aller seiner Pflichten, den Kindern aus seinem ereignisreichen Leben zu erzählen. Mit großem Strohhut wirkt er dabei wie ein Schäfer auf der Weide. Wie ein Bio-Apostel vielleicht. Auf keinen Fall wie ein Spinner.
Christian Blümel
Vom Industriellen zum Bio-Pionier:
Stationen im Leben von Karl Ludwig Schweisfurth
1930: Geburt am 30. Juli
Nach der Fleischerlehre Lehr- und Wanderjahre in Schlachthöfen in Chicago; Umbau der väterlichen Fabrik in Herten nach US-amerikanischem Vorbild, Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
1964 bis 1984: persönlich haftender Gesellschafter des Schweisfurth-Unternehmens mit Fabriken in Europa, Brasilien und Äthiopien und den Marken Herta, Artland, Dörffler, „Casserole“-Metzgereifilialen und Stastnik; Funktionsträger in Verbänden der Fleischwaren- und Lebensmittelindustrie
1982: Metzgermeister-Prüfung
1984: Verkauf von Herta, Artland und Dörffler
1985: Gründung der Schweisfurth-Stiftung
1986: Gründung der Herrmannsdorfer Landwerkstätten in Glonn
Hilfe beim Aufbau ökologischer Projekte nach dem Modell Herrmannsdorf im In- und Ausland, nahe Stralsund und Dresden, Lew Tolstoi (Russland) und Sekem (Ägypten)
2001: Ehrung der Stiftung Europäisches Naturerbe als „Partner des Europäischen Naturerbes”
2005: Aufbau einer privaten landwirtschaftlichen Versuchsanstalt im besseren Einklang mit der Natur
2005: Bayerische Staatsmedaille
2006: Dorf für Kinder und Tiere
2014: Bayerischer Naturschutzpreis vom Bund Naturschutz in Bayern für „die Fortentwicklung des ökologischen Landbaus, für eine artgerechte Tierhaltung, die Erhaltung ganzheitlicher Lebensmittelqualität und die Förderung einer tragfähigen Agrarkultur“